Frank Frenzels FRÖSI-Geschichten (1)

Frank Frenzel Liebe FRÖSI-Freunde,

ein inzwischen herzliches Verhältnis zu Herrn Weißhahn und seine unermüdliche Recherche in Sachen DDR-Comic haben mich veranlasst, meine 15 FRÖSI-Jahre (von 1974 bis 1989) aus der Erinnerung zu Papier zu bringen.

In den Texten werdet Ihr meine Sicht auf die Dinge lesen, die längst nicht mit den Ansichten meiner Mitstreiter in der Redaktion oder den vielen heutigen Muttis und Vatis als ehemaligen FRÖSI-Lesern übereinstimmen muss.

Auch kann ich nur selten mit konkreten Heftnummern oder Jahreszahlen dienen, denn ich sehe mich nicht als Chronist. Und da ich relativ faul bin, habe ich auch keine Lust, in meinen Sammelbänden zu kramen oder eine DDR-Karte zur Hand zu nehmen, um bestimmte Orte herauszusuchen.

Vielmehr möchte ich die 15 schönsten Jahre meines Berufslebens mit Sachkenntnis oder in Anekdoten allen Interessierten zur Kenntnis geben. Ich möchte Zusammenhänge erklären, aber auch Fragen aufwerfen. Zum Beispiel: Haben wir heute wirklich Pressefreiheit? Gibt es nicht noch immer das Chefredakteur-Prinzip? Oder: Heißt Pressefreiheit, dass ich jeden Unsinn auf die Seite 1 drucken darf - vielleicht mit einem Fragezeichen?

Natürlich hatte auch die Kinderpresse in der DDR einen staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Aber man konnte ihn gestalten. Und ich glaube, dass FRÖSI in dieser Beziehung äußerst kreativ war.

Natürlich gab es auch politische Einschränkungen und wirtschaftliche Zwänge, aber das ist schon wieder eine ganz andere FRÖSI-Geschichte…


Wie ich zu FRÖSI kam

Von Beruf bin ich Schriftsetzer. Um genau zu sein: Handsetzer. Und dies wurde ich, weil der Vater meines Schulfreundes Jürgen Siebert eine kleine Druckerei hatte und ich fasziniert war vom Umgang mit den beweglichen Lettern und den Möglichkeiten der Gestaltung, die sich daraus ergaben. Als Lehrling der Berliner Druckerei erlernte ich diesen Beruf also in der Berufsschule Rudi Arndt, unweit vom S-Bahnhof Jannowitzbrücke und dem Berliner Alexanderplatz. Und mit gutem Ergebnis. Das war 1969.

Es folgten 18 Monate NVA und dann der Schichtdienst in der Druckerei. Ich wurde schnell Metteur, so eine Art "Oberschriftsetzer" und verantwortlich für den Umbruch der Zeitschriften NBI, FÜR DICH, EULENSPIEGEL, FREIE WELT sowie verschiedener anderer Objekte.

Schriftsetzer war mein Traumberuf. Aber es war auch ein schwerer Beruf im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Doppelseite wog rund 20 Kilogramm - schließlich bestand sie aus einer Bleilegierung, und die musste während einer Schicht mehrmals umgestellt werden.

Kurz und gut: ein angeborenes Rückenleiden lies 1973 die Arbeit als Setzer nicht mehr zu und so erhielt ich einen Schonplatz als Korrektor. Aber zum Korrekturlesen muss man geboren sein. Und das war ich nicht. Ich fand nicht einmal dicke Fehler in großen Überschriften, weil ich das las, was dort eigentlich stehen müsste und nicht das, was dort in Wirklichkeit stand…

So bestellte mich eines Tages der Parteisekretär zu sich, und das, obwohl ich (damals noch) kein Genosse war. Der Grund: Er wohnte mit dem Parteisekretär des Verlages Junge Welt in einem Haus und wusste von dem, dass in eben jenem Verlag dringend ein Disponent für Kinder- und Jugendzeitschriften gesucht wird. Und diesen Job bot er mir an. Das war insofern etwas besonderes, als dass der Wechsel von einem Zentrag-Betrieb in einen anderen Zentrag-Betrieb eigentlich ausgeschlossen war. Aber als Korrektor war ich eben einfach nicht zu gebrauchen…

Und so war ich plötzlich Disponent und verantwortlich für die technische Herstellung von BUMMI über die ABC-Zeitung, Mosaik, Atze … und eben auch FRÖSI.

Letztere spielte eine besondere Rolle.

Wegen der oft komplizierten Aufgaben vor allem für das Reprozentrum im Grafischen Großbetrieb Völkerfreundschaft (GGV) in Dresden bzw. die Handarbeit im Betriebsteil Bautzen (Kommando FRÖSI im Strafvollzug) war festgelegt, dass die Druckunterlagen jeweils persönlich zu übergeben sind. Das passierte monatlich im Wechsel - mal in Dresden, mal in Berlin. Und der Disponent musste immer dabei sein.

So kam es, dass mich meine erste Dienstreise in Sachen FRÖSI nach Dresden führte. Ich fuhr in Begleitung des Chefredakteurs Wilfried Weidner, der gerade erst in diese Funktion berufen worden war und sich in der Druckerei vorstellen wollte, des stellv. Chefredakteurs Walter Stohr, einem "alten" FRÖSI-Hasen und des Gestalters Alexander Michallak, der FRÖSI vor vielen Jahren quasi mit auf die Welt brachte.

Jede FRÖSI-Übergabe hatte einen festen Halt in Ortrand und führte immer ins "Deutsche Haus" am Marktplatz. Dort blätterten Walter Stohr und Alexander Michallak ein letztes Mal die Korrekturen durch und gaben dem neuen Heft den letzten Schliff. So auch diesmal. Ich unterhielt mich derweil mit Wilfried Weidner und der fragte mich, ob ich nicht einen Kollegen aus der Druckerei wüsste, den er als technischen Redakteur einstellen könne.

Ich erklärte sofort mein Interesse an diesem Job, aber Weidner war zurecht skeptisch, dass man mich aus dem Bereich Produktion in eine Redaktion wechseln lassen würde.

Egal. Am nächsten Tag wurde ich beim Produktionsdirektor Heinz Görner vorstellig, um mein Ansinnen vorzutragen. Der fiel fast vom Stuhl, hatte er doch gerade nach zahllosen Versuchen einen Disponenten einstellen können. Aber da er meinen eindeutigen und eindringlichen Wunsch schließlich akzeptierte, schlossen wir folgende Vereinbarung: Er bemüht sich, einen Nachfolger für mich zu finden und ich erkläre mich bereit, so lange zu bleiben und diese Person dann noch ordentlich einzuarbeiten. Eines gar nicht so fernen Tages saß Regina Brauns auf meinem Stuhl, ich blieb vier Wochen an ihrer Seite, und dann durfte ich endlich umziehen - von der zweiten in die vierte Etage des Verlagsgebäudes in der Mauerstraße … von einem großen Büro mit drei Arbeitsplätzen in eine ehemalige Damentoilette, in die der stellvertretende Chefredakteur Walter Stohr einen zweiten Schreibtisch hatte stellen lassen. Und nun begann die schönste Zeit meines Berufslebens.


Walter Stohr - der FRÖSI-Macher

Er ist ein "Fischkopp", aber ein ganz besonderer. Sein Elternhaus steht in Mönkebude, und dort wohnt er jetzt wieder.

Walter Stohr ist Diplom-Gesellschaftswissenschaftler, und dies noch immer aus ehrlicher Überzeugung. Schade, dass es von dieser Art Kommunisten nicht allzu viele in der DDR gab.

Er hatte immer ein Herz für die Kinder. Und er tat immer alles, dass seine FRÖSI-Leser eine bunte Mischung aus Spaß, Unterhaltung, Tätigkeit und auch ideologischem Inhalt vorfanden, Monat für Monat. Er setzte die politischen Vorgaben, die aus dem Zentralrat der FDJ mit der dort angesiedelten Pionierorganisation "Ernst Thälmann" kamen, konsequent um, aber möglichst kindgerecht. Man kann darüber denken, wie man will. So waren nun mal die gesellschaftlichen und politischen Umstände in der DDR. Und wer denen nicht gefolgt wäre, der hätte es eben nicht zum stellv. Chefredakteur einer Kinderzeitschrift gebracht. Und ein anderer wäre vielleicht nicht in der Lage gewesen, notwendige politische Inhalte in Bildgeschichten zu verpacken, die verordnete Heimatliebe in Rätselreisen durch die DDR zu gestalten und die gewünschte Verbundenheit zur Sowjetunion mittels einer jährlichen Russischbeilage zu vermitteln. Und hätte er dies alles nicht kindgerecht und dennoch ideologisch und politisch korrekt umgesetzt, dann würde er vielleicht auch nicht die Freiheit gehabt haben, Otto und Alwin, Ali & Archibald, der FRÖSI-Disko, der Aktion Prominente & Talente oder Emmy so breiten Raum zu geben.

Walter Stohr wurde vom FRÖSI-Gründer Dieter Wilkendorf in die Redaktion geholt. Beide verband nicht nur dieselbe Verrücktheit bei der Suche nach neuen Ideen, beide waren auch sehr gute Freunde und gegenseitige Helfer und Verbündete. Dies galt auch für die Zeit, als Wilkendorf zum Fernsehen der DDR abgeschoben wurde und man ihm Frau Eichhorn als Chefredakteurin vor die Nase setzte, obwohl er fest mit dem Job gerechnet hatte.

Bis zur Wende, vielleicht auch darüber hinaus, diskutierten Stohr und Wilkendorf Heftbestimmende Inhalte ebenso leidenschaftlich wie Fernsehbeiträge für die AHA-Sendung, für die Wilkendorf inzwischen den Hut aufhatte.

Tja, und mit Wilfried Weidner kam 1974 wieder ein neuer Chefredakteur und wieder blieb Stohr auf seinem Platz sitzen. Ich glaube, er hat sehr darunter gelitten, aber er hat es nie gezeigt und sich stets loyal gegenüber "dem Neuen" verhalten.

Und Weidner ließ ihn machen. So gesehen war diese Konstellation ein Segen für das Heft. Und da Stohr auch nicht süchtig nach öffentlicher Anerkennung war, hatte er kein Problem damit, dass Weidner immer das Lob einsteckte und Kritik sofort an ihn weitergab. Im Gegenteil: Er nutzte Weidners Abhängigkeit von sich, um Inhalte durchzusetzen, die er als Chef vielleicht nicht angepackt hätte - siehe Emmy (in einer anderen FRÖSI-Geschichte).

Der Chefredakteur machte monatlich einen Seitenplan, den las Walter durch und legte er ihn weg. Jetzt nahm er ein leeres A-4-Blatt und machte einen neuen. Dann holte er die Redakteure nacheinander ran, erklärte, was er erwartete und schickte sie an die Arbeit. Einen Großteil der Seiten reservierte er für sich (später auch für mich). Dann klingelten nacheinander die Telefone bei Hambach, Alisch, Günther und anderen und er besprach mit jedem Grafiker, aber auch mit vielen Autoren und Fotografen das neue Heft. Und da ich mit in Walters Redaktionsstübchen am (eigenen) Schreibtisch saß, lernte ich schnell diese Leute kennen und schätzen. Und ich durfte mit überlegen und mitreden, wenn es um tragende Inhalte, Beilagen oder Arbeitsmittel als Lösungshilfen ging.

Walters Vorgehen faszinierte mich. Er "quälte" die Grafiker oft bis an die Schmerzgrenze, wenn er ihnen abverlangte, aus irgendwelchen Plasteteilchen, die er in irgendeinem Betrieb aufgestöbert hatte, eine Lösungshilfe für Knobelaufgaben zu machen oder diese Dinge in eine Bastelei einzubeziehen. Aber er setzte sich immer durch. Oft machte er absurde Vorschläge, um zu demonstrieren, wo er hinwollte, dann drehte er das Plasteteilchen so lange auf dem Tisch oder schob es von oben nach unten, bis jemand eine Idee hatte, was man damit machen kann. Dann wurden Skizzen angefertigt, probiert, verworfen und plötzlich machte es bei einem "Klick" und die Beilage war perfekt. Bei vielen Dingen kann man wirklich nicht sagen, wer eigentlich die Idee hatte, denn oft war sie ein Gemeinschaftswerk.

Und dass FRÖSI so beliebt war, ist, so glaube ich, der Hartnäckigkeit von Walter Stohr geschuldet.

Er war kein Frühaufsteher. Meist kam er gegen 9 in seinem Trabbi angefahren und dann gingen wir beide erst mal frühstücken. Aber da waren wir dann schon mitten in der Arbeit. Wir diskutierten über Beilagen oder Inhalte, oft tauchte ein Grafiker auf, und der suchte immer zuerst in der Kantine nach uns. Meist erfolgreich. Also blieben wir sitzen, freuten uns über die Zeichnungen oder stritten im Sinne der Sache. Dann kamen unsere FRÖSI-Kolleginnen und -Kollegen zum Mittagessen und wir saßen noch immer in der Kantine. Aber mittags war dort Rauchverbot und wir wechselten in den Klubraum in der dritten Etage. Ich kann mich an Arbeitstage erinnern, da war ich zwar im Verlagsgebäude aber keine Minute im Büro. Und dennoch äußerst produktiv.

Walter Stohr ging nie um 17 Uhr nach Hause. Oft saß er bis tief in die Nacht in der Redaktion, wechselte ein paar Worte mit dem Nachtpförtner, wenn der seine Runden drehte, las Texte, Beiträge oder Korrektur, tippte Briefe auf seiner Erika-Reiseschreibmaschine ins Unreine oder suchte etwas in seinen drei Schränken. Eigentlich verbrachte er sein halbes Leben in diesen drei Schränken. Walter hob alles auf. Und er wusste immer, wo er suchen musste. Das Problem: Beim Suchen fand er andere Bilder oder Texte, die ihn plötzlich interessierten und die zufällig ins aktuelle Heft passten. Dann machte er den Heftplan eben neu, räumte das Neue in den Schrank und veröffentlichte anderes, was aber noch besser passte … seiner Meinung nach, und die war zu 99% richtig!

Irgendwann fragte er mich, den technischen Redakteur, ob ich nicht auch mal einen Text schreiben will. Es sollte eine Mäxchen-und-Tüte-Reportage werden, fotografiert von Horst Glocke und natürlich von Richard Hambach illustriert. Klar wollte ich. Ich ging auf Dienstreise in irgendeinen Betrieb, kam mit vollem Textblock und vollem Herzen zurück, schrieb los, gab Walter das Manuskript, und der gab es mir ungelesen zurück. Mit der Anmerkung: Mach hundert Überschriften, eher gucke ich den Text nicht an.

Zwei Tage später legte ich ihm drei Seiten mit Überschriften vor und zweieinhalb Seiten Manuskript. Von meinem Text blieben nach seiner Korrektur vielleicht 20 Zeilen übrig, aber eine tolle Überschrift. Und ich wusste, dass Walter mich nun auch quälte, weil er mich fördern wollte. Das werde ich ihm nie vergessen.

Übrigens: Walter Stohr las jeden Text, jede Bildunterschrift, er sah jedes Foto und jede Zeichnung und ließ sich jedes Layout vorlegen, bevor die Unterlagen in die Druckerei gingen. Unser Chefredakteur freute sich das erste Mal über das neue Heft, wenn die Korrekturabzüge in der Redaktion eintrafen.

Natürlich hatten wir auch eine Leserpostredaktion. Dort gingen tausende Briefe und Postkarten pro Woche ein, säckeweise. Und nichts davon wurde weggeworfen, bevor Walter Stohr es nicht in der Hand gehabt hatte. Annette Schlegel, die bildhübsche Leiterin der Korrespondenz, musste jeden Postsack in unser Zimmer schleifen. Er tat dies nicht, weil er die Arbeit der Korrespondenz kontrollieren wollte, sondern er suchte ständig nach neuen Ideen und er wurde fast immer fündig. Natürlich standen keine konkreten Ideen auf den Karten, aber er hatte die Fähigkeit, aus den Zuschriften Wünsche der Kinder herauszulesen. Manchen Feierabend standen fünf oder sechs prall gefüllte Postsäcke in unserem Büro, am nächsten Morgen waren sie umsortiert und zwei- oder dreihundert Postkarten stapelten sich zusätzlich auf seinem Schreibtisch. Und er empfing mich morgens mit den Worten: Guck mal, was ich hier gefunden habe. Da müsste man doch was draus machen können… Und es folgten gemeinsame Stunden in der Kantine und später im Klubraum.

Er hat nicht nur FRÖSI gemacht, er hat FRÖSI gelebt.

Und er hat den letzten Text für FRÖSI geschrieben. Das war 1991, als das Heft eingestellt wurde. Und dieser Text war voller ehrlicher Traurigkeit und Wut über das Scheitern seines Lebenswerkes.

Wie Walter Stohr aussah? Wie Columbo, vom Haarschopf bis zum Mantel. Genau so war er auch - oft unterschätzt oder belächelt, aber letztendlich (fast) immer erfolgreich. Und das, obwohl er Columbo wahrscheinlich nie gesehen hatte, denn Westfernsehen war für Walter Stohr tabu.


Wie mir Horst Alisch auf den Kopf pullerte

Es war in den Sommerferien 1989. Wilfried Poßner, Chef der Pionierorganisation "Ernst Thälmann", hatte grünes Licht und viel Geld gegeben für eine wohl einmalige Aktion in der DDR - das "FRÖSI-Talente-Karussell" ging auf Reisen durch 10 zentrale Pionierferienlager.

Gemeinsam mit Klaus-Peter Eckert, freiberuflich beim Kinderfernsehen der DDR tätig, hatte ich mir diese Sache ausgedacht. Es war ein aktives Bühnenprogramm für Kinder mit drei festen Säulen: FRÖSI-Disko, Rockband Karussell und Horst Alisch als Schnellzeichner. In die freien Programmpunkte wurden die Kinder vor Ort jeweils mit einbezogen. Sie konnten als Sänger auftreten oder als Zauberer, als Witzeerzähler, Gedichtaufsager, Brake-Dancer, Artisten oder was auch immer.

Wir zogen mit der kompletten Technik einschließlich großer Bühne durch die Gegend, von Rostock bis Saalfeld und hatten täglich einen Auftritt an anderer Stelle. Nach der Veranstaltung übernachteten wir vor Ort und starteten am Morgen darauf zur nächsten Etappe.

So auch irgendwo im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Und weil das Ferienlager bis auf den letzten Platz belegt war, hatte man für unser Team 16 Feldbetten auf der Bühne im Speisesaal aufgestellt. Dazu einen großen Tisch sowie 16 Stühle. Und so saßen wir hinter dem geschlossenen Vorhang und ließen bei reichlich Schnaps, Bier und Wein den Abend ausklingen.

Horst Alisch war an diesem Abend in einer besonders depressiven Phase. Sein jüngster Sohn war vor wenigen Wochen mit Frau und Kind offiziell in den Westen ausgereist und für Alisch stand fest, dass er diesen Teil seiner Familie viele Jahre nicht mehr sehen würde. Wenn Dirk Michaelis allabendlich zum Abschluss der Veranstaltung sein "Als ich fortging…" sang, dann stand Horst Alisch mit Tränen in den Augen hinter der Bühne. Aber heute war es noch schlimmer. Horst hatte einen "Moralischen" und verfiel dem Alkohol, obwohl er sonst sehr wenig davon zu sich nahm. Es gibt eben solche Tage und solche…

Hinter der Bühne gab es einen Waschraum und eine Toilette. Das reichte nicht für 16 durstige Männer, die kistenweise Flaschen geleert hatten. Und so gab es nur eine "Notvariante": Raus aus dem Gebäude, eine steile Stahltreppe runter und dort ein "stilles Örtchen" gesucht. Und das tat ich dann. Ich blieb unten am Haus stehen und entleerte meine Blase. Da ging oben die Tür auf, Horst Alisch kam raus, blieb aber gleich auf dem Podest stehen und tat dasselbe wie ich. Dumm nur, dass ich unter ihm stand…

Am nächsten Morgen saß die Band in ihrem VW-Bus. Dirk Michaelis guckte aus der Tür zum Gebäude und fragte: Was ist denn da für ein komischer dunkler Bogen am Putz? Der fängt am oberen Podest an und hört zwei Meter über der Erde auf…

Ich konnte ihm die Antwort sagen, was ich auch tat. Ich habe Dirk nie wieder so lachen hören.


Viele Grüsse aus dem Knast...

FRÖSI wurde im Strafvollzug Bautzen von rund 90 Strafgefangenen und fünf Zivilangestellten (beschäftigt im GGV Dresden) Monat für Monat komplettiert und dann ausgeliefert. Meinem Wissen nach handelte es sich ausschließlich um kriminelle Straftäter, die allerdings unterschiedlich lange Haftstrafen abzusitzen hatten. Ich weiß sowohl von einem Buchhalter, der LPG-Land (das ihm natürlich nicht gehörte) mit Holzpfählen parzelliert und dann an Privatpersonen verkauft hatte als auch vom Bankräuber, der nach mehr als 20 Überfällen im Raum Dresden gefasst und eingesperrt wurde.

Da die Arbeit im "Kommando FRÖSI" relativ leicht war, kamen vor allem Kranke, wie z.B. Diabetiker, dort zum Einsatz. Das wiederum hatte den Nachteil, dass eigentlich alle Straftaten und Strafmaße in einem Raum aufeinander trafen - von einem Jahr bis lebenslänglich.

Monatlich mussten die Strafgefangenen rund 600.000 Umschläge schneiden und falzen, eine Ecke einkleben oder einen Streifen, die Beilagen einstecken, einlegen oder einkleben, das Bild des Monats und das Heft in den Umschlag packen, die fertigen Hefte stapeln und ausliefern.

Hier wurden auch die 3-D-Brillen gefertigt und natürlich der Weihnachtskalender. Rund drei Monate lang war ein Teil der Strafegefangenen Jahr für Jahr damit beschäftigt.

Als technischer Redakteur war es meine Aufgabe, dass der Weihnachtskalender so konstruiert wurde, dass er möglichst einfach zu produzieren war. Er bestand in der Regel aus drei Teilen: einem gestanzten Grundblatt mit den 24 Türchen aus Karton, einem Hinterklebeblatt aus Papier auf dem die Bildchen waren, die später hinter den offenen Türchen auftauchten und einem weiteren Kartonblatt (meist zum Ausschneiden), mit dem der Kalender dann als Bastelei ergänzt werden konnte.

Tja. Und dann irgendwann passierte es eben, dass ein FRÖSI-Leser zu Hause ein Türchen öffnete und dahinter stand: Viele Grüße aus dem Knast.

Irgendein Witzbold im Strafvollzug hatte das Hinterklebeblatt mit zahlreichen Sprüchen beschriftet, bevor er es an das Grundblatt des Kalenders klebte. Das konnte nicht mal bei der Qualitätskontrolle, die stichprobenartig durchgeführt wurde, auffallen.

Und dann rief die Mutti des Lesers in der Redaktion an und fragte, wie das möglich sein kann…

Wie viele Muttis ähnliche Erlebnisse hatten, weiß ich nicht. Aber dieser eine Fall schon hätte ausreichen können, dass man die Komplettierung im Strafvollzug untersagt. Das wäre übrigens das Ende von FRÖSI in der bekannten Form gewesen (mehr dazu in einer anderen FRÖSI-Geschichte).


Wie Emmy geboren wurde

Die Vorsitzende der Pionierorganisation "Ernst Thälmann", Helga Laabs, hatte für das Sekundärrohstoffsammeln der Kinder in Schulen und Haushalten die Losung "Großfahndung - Millionen für die Republik" ausgegeben. Das Logo war eine Taschenlampe, die auf einem gelben Stern lag.

Walter Stohr und ich waren uns einig, dass weder der Slogan noch das Symbol kindgerecht waren und man damit die Kinder begeistern könnte. Also sagte Walter zu mir: Lass Dir was einfallen…

Ich überlegte hin und her und entschloss mich dann, einen kleinen roten Elefanten vorzuschlagen, den ich Emmy nannte (in Erinnerung an meine schon lange verstorbene Lieblingstante gleichen Namens). Die Grundidee war, dass die Kinder die kleine Elefantendame mit ihren Sammelergebnissen "füttern" sollten, so dass sie wächst und gedeiht. Ich besprach die Sache mit Richard Hambach und der machte die ersten Zeichnungen - ein kleiner roter Elefant mit Stoßzähnen.

Walter Stohr war natürlich einverstanden und so erschien das erste Mal Emmy im Heft. Ein kleines Zugeständnis machten wir sicherheitshalber: In der Dachzeile über der Überschrift stand der offizielle Slogan der Pionierorganisation.

Die Leute im Kombinat SERO, mit dessen Abteilung Öffentlichkeitsarbeit wir zusammenarbeiteten (besonders mit Heinz Klensky), waren begeistert und die Resonanz der Kinder gab uns Recht. Der Erfolg der ersten Veröffentlichung war umwerfend. Kritik kam lediglich von der Pionierorganisation, die uns vorwarf, das volkswirtschaftliche Anliegen der "Großfahndung" zu verniedlichen.

Aber Emmy war nicht mehr zu bremsen. Die Kinder liebten den Elefanten, und uns war sofort klar, dass Emmy nicht wachsen kann und wachsen darf. Wie hätten wir einen Elefanten darstellen sollen, der quasi irgendwann die ganze Republik breitsitzt…?

Einmal hatte Richard Hambach keine Zeit, Emmy zu zeichnen, und ich bat Horst Alisch um Hilfe. Der zeichnete den roten Elefanten ohne Stoßzähne. Und da Emmy nun mal so und mal so erschien, was zu Fragen bei den Lesern führte, musste eine Entscheidung her. Dem Generaldirektor des Kombinats SERO gefiel der Elefant ohne Stoßzähne besser und so wurde Horst Alisch zum alleinigen Emmy-Grafiker.

Es war eine Aktion ins Rollen gekommen, wie es sie so über einen langen Zeitraum bei FRÖSI noch nicht gegeben hatte, denn sie war nicht mehr zu stoppen.

Unsere Leserbriefredaktion drohte in Post zu ersaufen. Uns erreichten nicht nur Sammelergebnisse der Kinder sondern zahllose persönliche Briefe an die kleine Elefantendame. Die Kinder fragten bei ihr an, wie sie ihr Zimmer einrichten sollen, was man tun kann bei Ärger mit den Geschwistern oder Eltern … eben alles, was man mit einer echten Freundin bespricht. Und jede Zuschrift wurde persönlich beantwortet. Annette Schlegel und Heike Westphal sowie zahllose Stundenkräfte leisteten eine unglaubliche Arbeit.

Lehrer berichteten von Emmy-Festen an Schulen und immer wieder kamen Anfragen nach Material für Veranstaltungen. Gemeinsam mit der Öffentlichkeitsarbeit des Kombinates SERO entwickelten wir ein ganzes Sortiment von Emmy-Souvenirs. Auch Emmy-Beilagen, die in FRÖSI zu finden waren, wurden in höheren Auflagen gedruckt, um sie zusätzlich an die Schulen zu verschicken.

Es gab eine Emmy-Rallye, wo die Pioniergruppe für einen Nachmittage ein echtes Rallye-Auto gewinnen konnte, mit dem jeder eine Runde auf dem Schulhof mitfahren durfte, wir versteigerten die Rockgruppe Karussell für ein Schulkonzert und Schulklassen, die es schafften, das Gewicht eines echten Elefanten in Altpapier aufzuwiegen, die wurden mit richtigen Elefanten fotografiert (dazu gibt es eine Extra-FRÖSI-Geschichte).

Besonders in der Redaktion TROMMEL, die knallhart an der "Großfahndung" festhielt und kaum Zuschriften zu ihrer SERO-Aktion erhielt, hatten Emmy und ich wenige Freunde.

Mit dem Wechsel an der Spitze der Pionierorganisation - Wilfried Poßner löste Helga Laabs ab - hatten wir endgültig grünes Licht und schöpften aus dem Vollen…

Emmy for ever!


Bezahlte Beiträge in FRÖSI

Ja. Es gab sie. Und gar nicht so selten. Wir hatten mit Lotti Simon sogar eine Redakteurin für Öffentlichkeitsarbeit, die mit einem Fixum angestellt war und Provisionen für Werbeverträge erhielt.

Die umfangreichsten Verträge über bezahlte Öffentlichkeitsarbeit gab es mit dem Kombinat SERO (Emmy), dem Hygiene-Museum in Dresden (Kundi und Mutz & Strubbel), der staatlichen Versicherung der DDR (z.B. zum Thema Brandschutz) sowie dem Kombinat OGS (Obst, Gemüse, Speisekartoffeln) mit der Figur Korbine Früchtchen.

Die Figuren Kundi (Entwurf Richard Hambach) sowie Korbine Früchtchen (Entwurf Harry Schlegel) waren mit allen Rechten an die Auftraggeber verkauft, das heißt, sie durften von jedermann im Auftrag des Eigentümers an den Rechten gezeichnet werden. Welche Summen dafür gezahlt wurden ist mir nicht bekannt.

Ende eines jeden Kalenderjahres informierten die Werbepartner die Redaktion über das Budget für das kommende Jahr. Der Seitenpreis war verhandelbar.

In der Regel bekamen wir die Summe, die zur Verfügung stand, sowie Wünsche für die Inhalte mitgeteilt und machten den Werbepartnern Vorschläge für die Umsetzung im Heft. Mal entstand so eine Bildgeschichte, mal war es eine Beilage mit entsprechenden Heftseiten.

Die Beiträge oder Beilagen wurden jeweils mit dem Signet der Auftraggeber gekennzeichnet.

Die mit Abstand größten Summen stellte das Kombinat SERO zur Verfügung. Das lag besonders an der Akzeptanz der Figur Emmy bis in die Kombinatsleitung. SERO bezahlte nicht nur viele Heftseiten und Beilagen, sondern auch die Großveranstaltungen quer durch die ganze Republik. Emmy-Feste gab es von Rostock bis Suhl über Berlin, Dresden und Gera. Die Veranstaltungsorte (Kulturpalast Dresden oder Stadthalle Gera, aber auch der Palast der Republik in Berlin) wurden generell kostenlos zur Verfügung gestellt, mitwirkende Künstler erhielten ihre Gagen in der Regel von den Kultureinrichtungen, aber Fahrkosten, Hotelzimmer und diverse Nebenkosten trug SERO.

Besonders variabel zeigte sich auch das Hygiene-Museum. So gelang es uns, dem dortigen Bereich Öffentlichkeitsarbeit zu vermitteln, dass Singen sehr gesund ist und wir erhielten erhebliche Summen für die Aktion "Prominente & Talente" (aber das ist eine ganz andere FRÖSI-Geschichte).

Ich kann nicht sagen, ob es Vorgaben für die bezahlte Öffentlichkeitsarbeit gab, aber sie trug dazu bei, das Heft vielfältiger zu gestalten.


Prominente & Talente

Es fing ganz harmlos an. Mitte der 80er Jahre erhielten wir immer mehr Anfragen in der Leserpost nach (vor allem) Westkünstlern aus der Pop-Musik. In der Hierarchie der Kinder- und Jugendpresse stand diese Befriedigung der Leserbedürfnisse eigentlich dem Magazin "neues leben" zu, aber unsere Zielgruppe wurde immer "frühreifer". Wie auch immer - wir konnten diese Wünsche nicht erfüllen. Das lag auch (aber nicht vor allem) daran, dass FRÖSI kein Budget in Devisen hatte, das es möglich gemacht hätte, Fotos aus dem Westen zu veröffentlichen.

Irgendwann sprach ich mit Peter-Klaus Eckert, ehemals FRÖSI-Redakteur und jetzt beim Kinderfernsehen der DDR und verantwortlich für die Sendung HE DU, über Möglichkeiten, für unsere Leser etwas in Sachen Pop-Musik zu machen. Und wir kamen gemeinsam auf die Idee, in Zusammenarbeit mit dem Kinderfernsehen eine Aktion ins Leben zu rufen. Die Grundidee war, dass Kinder sich bei FRÖSI bewerben können für einen gemeinsamen Auftritt mit einer Band oder einem Solisten in der HE-DU-Sendung.

Den Anfang machte die Gruppe Karussell. Wir veröffentlichten ein Portrait der Band mit Fotos, die wir auf dem Flughafen Schönefeld machten. Dazu mussten wir ausreisen. Wenn man nämlich hinter dem Grenzschalter des Flughafens war, dann hatte man quasi das Territorium der DDR verlassen. So erlebte ich also den einzigen Fototermin, zu dem ich einen gültigen Reisepass vorlegen musste.

Die Mitarbeiter des Flughafens waren sehr kooperativ. An eine abgestellte Maschine fuhren sie eine Treppe heran und eine weitere Treppe stellten sie bereit, auf der unser Fotograf Wadim Gratschow herumturnte.

Der Beitrag endete mit dem Aufruf: Und wer mit Karussell gemeinsam auftreten möchte, der melde sich bei uns. - oder so ähnlich.

Das brachte uns mal wieder viel, viel Post. Gewonnen hat dann schließlich Tanja Pamukow, 12 oder 13 Jahre alt und eine tolle Stimme. Sie sang gemeinsam mit Dirk Michaelis den Titel "Die kleinen Frauen", der in den Rundfunkstudios an der Nalepastraße produziert wurde.

Monatlich erschien ein neues Künstlerportrait und monatlich entstand ein neuer Song. Auf Karussell folgten Inka, Hendrik Bruch, Ralf "Bummi" Bursi, Ines Paulke, die Gruppe Berluc, IC, Wolfgang Ziegler und viele andere.

Und plötzlich meldeten sich alle möglichen DDR-Interpreten und wollten mitmachen bei dieser Aktion…

In der Leserpost trudelten nun vermehrt Autogrammwünsche ein. Und da hatte ich die wohl folgenschwerste Idee meines Lebens.

Auf einem halben Kartonblatt, eingeheftet in FRÖSI, veröffentlichten wir 6 Autogrammkarten der ersten 6 Künstler aus der Aktion. Die Kinder sollten die Karten ausschneiden, an sich selbst adressieren, eine Marke draufkleben, in einen Umschlag stecken und an FRÖSI schicken. Und ich versprach im Text, dass jede Karte unterschrieben und zurückgeschickt wird…

FRÖSI hatte eine Auflage von rund 600.000 Heften und jeder zweite sammelte Autogrammpostkarten, was ich allerdings nicht wusste.

Kurz und gut: Die Post lehnte es ab, die Säcke anzuliefern und so musste unser Verlags-LKW die Touren erledigen. In der Abteilung Korrespondenz wollten weder Annette Schlegel noch Heike Westphal mit mir reden. Die Mädels mussten jeden Brief öffnen, die sechs Karten herausnehmen und sortieren. Zum Glück hatten wir Ferienhelfer.

Aber dann kam das schlimmste. Ich musste zu den Künstlern fahren und die Post abgeben. Alle hatten mir versprochen, dass sie bei dieser Sache mitmachen, aber wahrscheinlich in völliger Unterschätzung der Folgen.

Ich erinnere mich an einen Anruf bei Ralf "Bummi" Bursi, der ging ungefähr so: Hallo Ralf, ich hab die ersten Autogrammpostkarten zum Unterschreiben. - O.k., schmeiß sie in den Briefkasten. - Geht nicht. Es sind drei Säcke voll.- Wie, drei Säcke. Was für Säcke? - Na Postsäcke. - Richtig große Postsäcke. - Nein. Ganz große Postsäcke. - Na dann klingel' mal lieber…"

Und da ich den Künstlern nicht über den Weg traute, bekam jeder auch Postkarten mit meiner Adresse. Alle Karten haben mich erreicht, manche spät, aber immerhin.

Besonders schwer hatten es die Bands, denn da mussten schließlich alle unterschreiben. Aber auch das haben sie getan. Nun sprach auch die Redaktion "neues leben" nicht mehr mit mir, denn die Künstler kamen jetzt zu FRÖSI… und wenn sie nur ihre Post abholten…


Wenn die FRÖSI aber nun ein Loch hat…

…dann kommt auch der Diplom-Journalist, der die FRÖSI-Beilagen stets als Kinderkram abgetan hat, nicht daran vorbei. Und plötzlich musste sich jeder Redakteur auf seinen Seiten - viele das erste Mal in ihrem Berufsleben - mit einer "Beilage" oder besser: einem "Arbeitsmittel" - beschäftigen. Denn das Loch durchbohrte das gesamte Heft. Und unsere Kolleginnen und Kollegen stellten fest, wie viel Spaß es machen kann, wenn man seinen Beitrag um ein Loch gestalten muss. Und: wie kreativ man plötzlich werden kann…

Ende der 80er Jahre planten wir 12 Themenhefte, z.B. das Lochheft (mit durchgebohrtem Loch), das Wende-Heft (von vorne und von hinten zu lesen), das Kreuzworträtselheft (jede Doppelseite war in ein Kreuzworträtsel eingebunden) usw.

Wenn Walter Stohr und ich in den Redaktionssitzungen das jeweils neue Heft vorstellten und die Gestaltung erklärten, dann ging stets ein Raunen durch die Redakteursreihen. Denn die durchgehende Heftidee kostete immer Platz. Und wenn sich die ersten zu Wort meldeten, um zu begründen, dass sie mit dem verbleibenden Raum nicht auskommen, stellte Walter ihnen zwei Wahlmöglichkeiten: Seiert Euch nicht so aus oder gebt mir das Manuskript, ich streiche es zusammen… Und da Walter Stohr berühmt und berüchtigt dafür war, aus drei Seiten Manuskript eine Bildunterschrift zu machen, ging man lieber selbst an die Arbeit.

Als wir zur Heftübergabe des "Lochheftes" nach Dresden fuhren, da fehlte uns eine komplette Seite. Jürgen Günther sollte sie gestalten, hatte uns aber telefonisch mitgeteilt, dass er nicht fertig geworden ist und da er ja in Dresden wohnt, bringt er sie selbst in die Druckerei wenn wir auch da sind.

Die Heftübergaben fanden stets im Büro des Repro-Chefs Horst Pohle statt. Neben ihm nahmen, Lothar Römer, sein Stellvertreter, und Rolf Phillip, Leiter des Kommandos FRÖSI in Bautzen, teil. Von der Redaktion reisten immer Walter Stohr und ich an, selten auch unsere Gestalterin Vera Kruse. Vera dauerten unsere Reisen zu lange, weil wir uns stets nach den Heftübergaben noch mit Jürgen Günther trafen - oft in einer Kneipe, manchmal im Atelier. Wir waren übrigens meist mit einem Auto und einem Fahrer unterwegs, aber das ist schon wieder eine andere FRÖSI-Geschichte…

Zurück zur Übergabe des "Lochheftes". Wie immer gingen wir Seite für Seite durch. Horst Pohle verglich das Layout jeder Seite mit den Vorlagen (Fotos und Zeichnungen) auf Vollständigkeit und in einer Strichliste wurden die Vorlagen erfasst, denn die Anzahl war aus Kapazitätsgründen limitiert.

Besonders Kartonvorlagen wurden auf ihre Biegsamkeit geprüft. Der Grund: Das Reprozentrum verfügte über sehr moderne Scanner, in denen die Druckvorlagen auf eine Trommel gespannt wurden.

Die Heftübergabe ging problemlos bis zur letzten (noch fehlenden) Seite. Wir übergaben ein leeres Layout, Jürgen Günther griff in seine Tasche, zog den Plattenteller seines Plattenspielers heraus und übergab ihn an Horst Pohle. Eisiges Schweigen. Dann lautes Lachen. Aus Walter und mir brach es heraus. Wir sahen das fassungslose Gesicht des Reprochefs und hatten Tränen in den Augen. Horst Pohle schraubte sich mit dem Plattenteller hoch: Was soll das? Was soll ich damit machen…?

Jürgen Günther antwortete kleinlaut: Na, reproduzieren… Die Rückseite mit dem Stroboskop-Effekt. Ich habe extra meinen Plattenspieler auseinandergebaut…

Horst Pohle sank auf seinen Stuhl zurück: Also Leute, ich mach ja für Euch alles möglich, aber das geht zu weit. Ihr könnt mir doch keinen Plattenteller zum Reproduzieren geben. Wie soll ich denn den auf den Scanner spannen. Das packt mal schön wieder ein. Und Lothar, schreib auf, dass eine Seite fehlt…

Natürlich ging aber doch alles gut. Horst Pohle ließ eine alte Reprokamera auspacken, Jürgen Günther brachte eine Flasche Schnaps in die Druckerei und im FRÖSI-Heft kann man nun für alle Zeit die Unterseite des Plattentellers bewundern.


Hektik auf der Latzhütte

Einmal jährlich führten wir eine Dankeschön-Veranstaltung durch für Betriebs- oder Kombinatsdirektoren, die uns, besonders bei der Herstellung von Beilagen, unterstützt hatten. Das waren keine pompösen Feste, sondern immer sehr lockere und legere Zusammenkünfte, die auch relativ wenig Geld kosteten. Wichtig war den Teilnehmern vielmehr, dass wir uns witzige Kleinigkeiten ausgedacht hatten. Walter Stohr bastelte meist aufwendige Dankes-Urkunden und hielt flammende Reden, in denen jeder Anwesende bedacht und FRÖSI-gemäß gewürdigt wurde, oft vergab er auch Orden aus Keramik, die eine Berliner Künstlerin für uns anfertigte.

Diese Feiern fanden an spektakulären Orten statt, zum Beispiel auf der Latzhütte. Das ist (oder war?) eine Bergsteigerhütte unterhalb der Festung Königstein. Sie hatte nur einen Schlafraum mit vielen strohgefüllten Betten, Plumpsklos aber einen wunderschönen runden Ofen mitten im Raum mit Platz für maximal 30 Leute. Wie gesagt: sehr ein fach aber sehr romantisch.

Dietmar von Alberti, tätig im Reprozentrum der Druckerei, war dort als Mitglied einer Bergsteigergruppe ehrenamtlicher Hüttenwart.

Er wollte sich, wie immer um alles kümmern, bat uns aber, wegen der eigentlich immer angespannten Versorgungslage in Königstein, das Abendbuffet und die Getränke aus Berlin mitzubringen.

Das war eine echte Aufgabe für unseren Olaf, den Küchenchef des Verlages Junge Welt. Und für 20 zu versorgende Personen - alles Männer - eine lösbare dazu. Da wurde Kasseler gebraten, Schweinebraten geschmort, Kartoffelsalat angerichtet und mehrere kalte Platten mit Fisch, Aufschnitt, Käse usw. vorbereitet. Pünktlich um 10.00 Uhr am Abreisetag (Walter und ich fuhren einen Tag, bevor die Gäste kamen) standen Speisen und Getränke in der Verlagskantine bereit. Ich bat unseren Fahrer, alles schon mal einzuladen, was der auch tat.

Gegen Mittag fuhren wir los, Drei, vier Stunden später trafen wir an der Latzhütte ein. Da man mit dem Auto dort nicht heranfahren kann, lag mit jedem Getränkekasten ein Fußweg von etwa 200 Metern vor uns. Also schleppten wir zu dritt erst mal die Getränke zur Hütte. Der Fahrer lud den letzten Kasten, schlug die Tür zu und sagte: Feierabend.

Nee, nee, - gab ich zur Antwort. - Das Buffet laden wir auch gleich noch mit aus…

- Welches Buffet? - Na, das ganze Essen fehlt doch noch. Das stand in der Küche neben den Getränken. - Da stand nichts. - Nun mach mal keinen Mist und gib das Essen raus.

Der Fahrer öffnete die Tür, und da war … nichts!!! Alles war in Berlin stehen geblieben. Na, Mahlzeit. Natürlich gab es auf der Latzhütte kein Telefon. Jetzt wurde der Fahrer hektisch. Er bot sich an, sofort nach Berlin zurückzufahren und am nächsten Tag wiederzukommen. Das ging aber keinesfalls, das waren rund 600 Kilometer und Benzin streng limitiert. Außerdem: War das Essen überhaupt noch da? Vielleicht hatte der Küchenchef weggegeben … und wir schicken den Fahrer noch mal nach Berlin. Das hätte uns den Kopf kosten können.

Es musste eine andere Lösung her. Wir wanderten rund 500 Meter in eine zum Glück offene Kneipe, um Abendbrot zu essen und um zu beratschlagen. Als erstes war zu klären: Ist das Buffet noch vorhanden?

Ich erklärte der Wirtin unser Problem und fragte, ob wir mal telefonieren durften. Ich durfte. Ich rief den Pförtner im Verlag Junge Welt an und fragte den, ob er zufällig die Privatnummer vom Küchenchef Olaf hat. Hatte er nicht. Aber die vom "politischen Dienst". Das war allabendlich ein leitender Mitarbeiter, der eine Liste mit den Telefonnummern aller Chefs mit sich herumtrug.

Dann hatte ich Olaf endlich am Telefon. Der war stinksauer: Du brauchst mir nicht mehr kommen mit irgendwelchen Wünschen. Meine Leute bereiten einen Tag lang alles vor und Du lässt die Sachen stehen.

Ich beruhigte ihn und fragte, ob das Buffet noch zu haben ist. Ja. Es war kühl gestellt.

Mir war eingefallen, dass jeden Morgen vom Hauptbahnhof ein Zug nach Prag fährt. Und der hielt in Bad Schandau, etwa 10 Kilometer von Königstein entfernt, zur Ausweis- und Zollkontrolle. Jetzt rief ich Helga Wulff, unsere Sekretärin, an. Die wusste natürlich, dass wir das Essen in Berlin stehen gelassen hatten, das war schon Verlagsgespräch… Stohr und Frenzel wieder. Mal sehen, was die jetzt machen… Ha, ha, ha..

Ich erklärte ihr folgendes: Liebste Helga, Du schnappst Dir morgen früh erst mal die hübsche Annette, dann geht ihr beide in den Fahrdienst, lasst Euch ein Auto geben, ladet in der Küche das Buffet ein und fahrt zum Ostbahnhof. Dort bringt Ihr die Sachen zum Zug, der nach Prag fährt, überredet die Zugschaffner, dass sie die Sachen mitnehmen und gebt ihnen schriftlich, dass sie alles aufessen dürfen, was nicht in Bad Schandau abgeholt wird. Notfalls soll Annette bis zum äußersten gehen…

Helga versprach, ihr bestes zu geben.

Am nächsten Tag gegen Mittag schickten wir unseren Fahrer zum Zug und eine Stunde später war er mit allem wieder da.

Es wurde ein herrlicher Abend…


Das liebe Geld und die Kontingente

Irgendwann mal hatte ich mit Walter Stohr gemeinsam ausgerechnet, dass FRÖSI am Kiosk 1,20 Mark kosten müsste, um auf plus/minus Null zu kommen. Jedes Heft wurde also mit rund 50 Pfennigen subventioniert.

Die Durchschnittsauflage betrug 600.000 Exemplare, wobei die Nr. 11 mit dem Weihnachtskalender bis auf 700.000 Stück hochging. Das musste natürlich bei anderen Ausgaben übers Jahr verteilt eingespart werden. Laut Aussagen des Postzeitungsvertriebs erreichten wir eine Bedarfsdeckung von 74 %.

Die reinen technischen Produktionskosten lagen bei etwa 350.000 Mark pro Ausgabe. Auch hier hatten wir innerhalb eines Jahres Spielräume, durften aber das Gesamtbudget nicht überschreiten.

So war auch die Materialplanung. Holzhaltiges Papier und der holzhaltige Karton für den Umschlag war relativ gut verfügbar. Beim Bild des Monats sah es schon anders aus. Da kam einseitig gestrichenes Papier zum Einsatz. Um hier Kontingente für andere Beilagen auf diesem Material freizubekommen, mussten wir uns ab zu etwas einfallen lassen. So druckten wir z.B. eine Grafik von Käthe Kollwitz, die im KZ auf Packpapier gezeichnet wurde, auf Sackpapier (hergestellt für Papiersäcke in der Zementindustrie). Das machte die Wiedergabe der Grafik sogar authentischer.

Sonderpapiere, wie z.B. Kunstdruck oder holzfreier Karton mussten bereits im Vorjahr geplant und begründet werden. In der Regel wurde das Material dann genehmigt und bereitgestellt.

Problematisch waren oftmals die Mengen. Ich kann mich erinnern, dass ich mal wegen Kali-Salz im Kombinat nachgefragt hatte für 10 Gramm pro Heft. Das sollte kein Problem sein - bekam ich zur Antwort. Als ich dann 600.000 Tütchen mit je 10 Gramm bestellte, dann waren das plötzlich 6 Tonnen…

Ebenso beim Blumensamen. Oder beim Seifenpulver, oder, oder, oder…

Für andere war die hohe Auflage ein Segen. Ich war mal mit dem Direktor eines Betriebes zusammengekommen, in dem Kunstleder hergestellt wurde. In der Produktion wurde ein Spezialpapier als Trägermaterial für das Kunstleder verwendet, das, weil beschichtet, nicht dem Altpapier zugeführt werden konnte. Wir bekamen Unmengen davon geschenkt und haben es mehrfach als Bastelmaterial beigelegt.

Kontingentiert war natürlich auch das Benzin. Für die Reaktion FRÖSI betrug das Kilometerkontingent im Jahr 16.000 Kilometer.

Bei 6 Heftübergaben in Dresden brauchten wir also schon rund 3.000 Kilometer allein dafür. Eine Möglichkeit, das Kontingent zu umgehen, war, dass Walter Stohr kleine Honorare anwies und wir dann mit dem eigenen Auto fuhren oder gemeinsam mit Horst Alisch. Er war nämlich der einzige unserer Stammgrafiker, der ein eigenes Auto hatte… Zu Reportagen fuhren wir oft im Auto des Fotografen mit, der dann natürlich auch gleich die Bilder für die Veröffentlichung machte.



Frank Frenzel (1951-2014) war von 1974 bis 1990 Redakteur und Autor bei FRÖSI. Nach der Wende arbeitete er als freiberuflicher Mediengestalter. Von 2005 bis 2012 schrieb er regelmäßig Kolumnen für diese Webseite über seine Zeit bei FRÖSI, nach der Wende, und begleitend zum FRÖSI-Index Anekdoten zu einzelnen Heftbeiträgen. Zwischen 2009 und 2011 betrieb er außerdem den satirischen Online-Blog "Emmy und Walther erklären die Welt".

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