Interview mit Achim Purwin
(2) Bei der Sport und Technik
Wir wollten origineller - wir sagten auch: jugendgemäßer - werden, und natürlich guckte man in die Welt, nach dem Westen, was man da so alles machte, und meinten: Comics können wir auch. Das Problem war, dass sich diese GST von einem Freizeitverein, wo man Modellbau, Segeln, Tauchen, Fallschirmspringen, Segelflug usw. machen konnte, immer mehr zu einem militarisierten Vorbereiter der Jugend für die Armee entwickelte. Unser Chefredakteur war immer auf einer Gratwanderung gegenüber dem ZK [Zentralkomitee der SED], dem Ministerium für Nationale Verteidigung und den Jugendlichen der DDR. Und meinte, wir müssen das trotzdem alles etwas locker rüberbringen, diese vormiltärische Ausbildung in der GST, an der die Jugendlichen teilnehmen mussten. Im Mittelpunkt der GST-Arbeit stand nun mal die vormilitärische Ausbildung und auch die ideologische "Erziehung", was u.a. auch den Kampf gegen den Klassenfeind - insbesondere die BRD und ihre Bundeswehr - beinhaltete. Nun ja - kürzlich habe ich einen Offizier der Bundeswehr getroffen. Dem habe ich gesagt, dass er eigentlich mal mein größter Feind gewesen war. Bin ich froh, dass wir nun friedlich miteinander ein Bier trinken konnten...
Klar, wir waren bei unserem Jugendmagazin recht flippige Redakteure und sozusagen in der unteren Ebene. Und konnten uns eigentlich etwas weit aus dem Fenster lehnen. Sobald man in den "oberen Etagen" unsere "roten" - das meint die politisch wirksamen - Seiten gefunden hatte mit Beiträgen zur permanenten Erziehung zur Liebe zur Sowjetunion, zu ihrer und allen anderen Armeen des Warschauer Pakts, war man zufrieden. Auch die Abarbeitung der proletarischen Geschichte der Arbeiterklasse fand ihren Platz. Und natürlich das aktuelle GST-vormilitärische Geschehen. Aber wir hatten einigermaßen journalistische Freiheiten, um das alles locker und teilweise auch recht interessant aufzuarbeiten. Und wenn sich der Leser durch die "ernsten" Seiten gearbeitet hat, warteten im letzten Teil unserer Zeitschrift auf ihn noch als Belohnung etwas Unterhaltung: Ein Foto von einem nackten Mädchen, Kreuzworträtsel, Humor und anderer Trallala.
Und ab Ausgabe März 1975 eben auch eine ganzseitige Bildgeschichte, wie wir den Comic sozialistisch umschrieben, um den oberen Pressewächtern zu demonstrieren, dass wir uns vom westlichen Wort Comic und auch seinen Inhalten distanzieren. Und diese Unterhaltungsseiten - das waren eben die, für die ich als Redakteur verantwortlich war. Dazu kamen die meisten Leserbriefe und Anfragen, und sogar manchmal ein Hinweis zum Kreuzworträtsel aus dem ZK der SED: Wenn ein Fehler im Rätsel war und ein Genosse ihn da oben gefunden hatte. Was bedeutete: er löste trotz hartem alltäglichen ideologischen Kampf während der Arbeitszeit auch Kreuzworträtsel...
Gab es eine Zensur für ihre Zeitschrift?
Eine direkte Zensur gab es nicht. Die Zeitschrift wurde gedruckt, und wir warteten nach der Auslieferung zwei, drei Tage ab, ob "von oben" irgendwelche "helfende kritische Hinweise" - im Volksmund auch ideologische Dresche genannt - kamen. Wenn es welche gab, bekam das mehr der Chefredakteur bzw. der Leiter der Hauptredaktion ab, dem die ganzen GST-Zeitschriften unterstanden. Bei uns ganz unten als Redakteure kam davon kaum noch was an. Zensur hieß also, dass man selber wusste, wie weit man journalistisch gehen konnte. Wie wohl auch im heutigen Leben...
Nun ja - wie gesagt -, wollten wir origineller, unterhaltsamer, besser werden, und fanden zwischenzeitlich in den "oberen Rängen" dafür Zustimmung. Und siehe da: Es machte auch mehr Spaß, unser Jugendmagazin wurde attraktiver, von den Jugendlichen noch mehr wieder in die Hand genommen und gelesen. Wir hatten ja Auflagen von über 200 000. Es funktioniert schon, wenn man sich eben mal mehr an den Bedürfnissen orientiert und nicht von alten Helden gesagt bekommt, was wichtig ist und wie das Leben zu sein hat und darzustellen ist. Und wir fingen an, mal hier zu testen und da zu machen, und es gab von oben keine Dresche. Das Presse-Klima für Bildgeschichten war auch relativ günstig, andere DDR-Zeitschriften brachten ebenfalls solche - nennen wir sie nun eben auch - Comics.
Es existiert ja ein "Dummy", wo Sie auf die Rückseite einer S+T-Ausgabe von 1974 einen fünfzeiligen Comic geklebt hatten, der noch wenig Ähnlichkeit mit den späteren Helden hatte. Wie sah das "Testen" aus?, War der ganzseitige Comic Ihre Idee?
Ja! Wir hatten in der Redaktion beschlossen, einen Comic über die ganze letzte Seite 32 zu bringen und ich ging frisch-fröhlich ans Werk. "Testen" hieß - wir ließen den Dummy in unseren Redaktionen kreisen, holten Tipps und Rat ein - aber im Grunde genommen war ich sowohl für den Entwurf, die Ausführung, die Ideen verantwortlich. Vor allem ging es darum: Wer sind die Helden, um was geht es, welche Inhalte?