Streit um Bolek und Lolek
Der Geburtsort der beiden Filmhelden mit den runden Köpfen liegt im Süden Polens, in der schlesischen Stadt Bielsko-Biala. Dort war 1947 ein Experimentalfilmstudio gegründet worden, das man 1952 unter dem Namen Studio Filmów Rysunkowych verstaatlichte. Zehn Jahre später schrieb das Studio einen Wettbewerb um Figuren für eine neue TV-Trickfilmserie aus, und mehrere der beim Studio angestellten Regisseure beteiligten sich. Hauptpreise erhielten u.a. der deutschstämmige Studiomitbegründer Alfred Ledwig (*1926) für die Figur des Jungen Bolek sowie sein Kollege Leszek Lorek (1922-1978) für eine Figur namens Lolek. Die Namen der beiden sind möglicherweise keine Neuerfindungen, denn es fanden sich Spuren einer Jahrzehnte älteren Theaterkomödie mit Figuren gleichen Namens.
Das Studio hatte als Preis ausgesetzt, die besten Figuren in Storyboards zur Serienreife weiterzuentwickeln. Weshalb Lorek daran kein Interesse hatte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen - er verkaufte seine Figur und die Rechte daran an Ledwig, dieser passte durch erhebliche Veränderungen Lolek stilistisch an seinen Entwurf von Bolek an, und damit waren die Brüder geboren. Am 9. Februar 1963 lizenzierte er per Vertrag das Paar zur Verwendung in einer 13teiligen Serie mit Episoden von 8-10 Minuten Länge an das Studio - beide sind also inzwischen 45 Jahre alt. Nach damals geltendem polnischen Recht hatte eine solche Vereinbarung eine gesetzlich vorgeschriebene Vertragslaufzeit von 10 Jahren.
Das Studio begann umgehend mit der Produktion des Serie, und zwar arbeitsteilig zwischen den sieben Regisseuren, gerecht aufgeteilt in jeweils zwei Folgen für Wladyslaw Nehrebecki (1924-1979), dem damaligen kommissarischen Direktor des Studios, Leszek Lorek, Stanislaw Dulz (1927-2006), Waclaw Wajser (1923-1981), Lechoslaw Marszalek (1922-1991) und Alfred Ledwig, während die dreizehnte Folge für Edward Wator (1929-1992) übrig blieb. Dabei verfilmten Ledwig, Marszalek und Wajser ihre eigenen Drehbücher, die anderen sieben wurden von Nehrebecki und Lorek allein bzw. in drei Fällen gemeinsam verfasst.
Das Studio honorierte seinen Vertrag insofern, als dass die Storyboards für jeden der Filme von Alfred Ledwig angefertigt wurden, also der wichtigste Teil der Umsetzung von der Geschichte in die bewegten Bilder und vermutlich auch die Gestaltung der Nebenfiguren in seiner Hand lag. Sein Name findet sich entsprechend in jedem Vorspann der ersten Staffel, die ab 1963 ins Fernsehen, in die Kinos und auf internationale Festivals gelangte. Dort stieß sie offenbar auf Begeisterung, und internationale Preise wie 1964 in Venedig für "Der Stierkampf" (Marszalek) und 1965 für "Die Armbrust" (Nehrebecki) begründeten den Ruhm und die internationale Verbreitung der Serie.
Der Erfolg hat vermutlich mehrere Ursachen. Erstens waren die Filme auf handwerklich hohem Niveau produziert und standen ihrer internationalen Konkurrenz Mitte der 60er Jahre in Nichts nach. Zweitens waren sie (zunächst) sprachfrei, was ihre Verbreitung in anderen Sprachräumen beförderte. Drittens benutzten sie mit dem Brüderpaar eine Figurenkonstellation, die sich auch schon vorher auf der Leinwand (wie in anderen Medien) vielfach bewährt hatte, sei es bei Laurel & Hardy oder Fred Feuerstein und Barni Geröllheimer: Man schaffe zwei äußerlich und charakterlich gegensätzliche Figuren und setze sie gemeinsam diversen Situationen aus - allein ihre Unterschiedlichkeit im Umgang mit den jeweiligen Herausforderungen wird für ausreichend Situationskomik und Identifikationsmöglichkeiten sorgen, um besonders jüngere Zuschauer zu binden. Das Konzept ging auch in diesem Fall voll auf, die Serie wurde zum Exportschlager und fand ihren Weg in die Kinderzimmer und Kinos auf fünf Kontinenten, also diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs - in England wurden aus "Bolka i Lolka" dann "Bennie and Lennie".
Keine Frage - auf einen solchen künstlerischen und internationalen Erfolg muss man aufbauen, und das Studio tat dies unter Federführung von Nehrebecki als Ideengeber in den kommenden Jahren mit voller Kraft. Der ersten Staffel, die noch einfach mit "Lolek und Bolek" betitelt war, folgte 1965/66 "Lolek und Bolek in den Sommerferien", ebenfalls mit 13 Episoden, von denen Ledwig nur eine selbst schrieb und inszenierte, während die meisten Storyboards von Tadeusz Depa (*1934) angefertigt wurden, der diese Rolle in den folgenden Jahren fast vollständig übernehmen würde.
Es folgte "Lolek und Bolek reisen um die Welt" (1968-70) mit 18 Episoden, und von nun an stammten fast alle Drehbücher von Nehrebecki und seinem 10 Jahre jüngeren Kollegen Leszek Mech (1933-2004; teilweise unter dem Pseudonym Leslaw Krolicz), der von 1962 bis 1970 Chefdramaturg bei Studio Filmów Rysunkowych war. Anschließend entstanden "Lolek und Bolek im Märchenland" (1970/71) mit 13 Episoden sowie "Lolek und Bolek im Wilden Westen" (1971/72) mit sieben Episoden.
Im Jahre 1971 wurde Alfred Ledwig im Zusammenhang mit der systemfeindlichen Bewegung Konfederacja Narodowa (Nationale Konföderation) verhaftet, weil er für sie als Grafiker tätig geworden war, und zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ohne ihn war nun der Weg frei für die noch umfangreichere Nutzung der Figuren: Nehrebecki begann (vermutlich unter staatlicher Anweisung und Rückendeckung, denn Lolek und Bolek spielten auch Devisen ein) 1972 mit dem Dreh der mit 65 Episoden längsten Staffel "Die Abenteuer von Lolek und Bolek", die bis 1980 weitergeführt wurde und ihren Weg ins deutsche Fernsehen beidseits der Grenze fand.
Nachdem Ledwig ein Jahr vorzeitig aus der Haft entlassen worden war, weigerte er sich, die im Jahre 1973 ausgelaufene Lizenz für die Nutzung von Lolek und Bolek an das Studio zu verlängern und bemühte sich gleichzeitig um Kompensation für Gewinne an den zwischenzeitlich produzierten Filmen. Der juristisch geführte Streit wurde im Mai 1975 vor dem Schlichtungsausschuss des Polnischen Autorenverbandes (ZAIKS) mit dem Spruch beigelegt, dass "der künstlerische Autor der Figuren "Bolek und Lolek" im Sinne der Urheberrechte und der geschlossenen Verträge Herr Alfred Ledwig ist". Nehrebecki räumte man korrekterweise Autorenrechte an den von ihm gedrehten Filmen und verfassten Drehbüchern ein. Grundsätzlich bedeutete diese Feststellung, dass ohne Ledwigs Zustimmung kein Künstler mit den Figuren arbeiten darf.
Nun war das Studio zur Fortsetzung des Erfolges der beiden Figuren wieder auf Ledwig angewiesen, und das Verhältnis schien sich etwas zu entspannen. Trotz des Berufsverbotes, das man seiner Frau schon während seiner Haft und ihm anschließend ebenfalls auferlegt hatte und das dafür sorgte, dass die Familie in ärmlichen Verhältnissen leben musste, kam es zu Kooperationen: Unter seiner Mitwirkung als Storyboard-Zeichner entstand das Gros der Staffel "Spaß und Spiele mit Lolek und Bolek" (1975/76), wo er außerdem im Vorspann als Schöpfer von Bolek und Leszek Lorek als Schöpfer von Lolek explizit benannt wurden, und er war Mitte der 70er an diversen Episoden der "Abenteuer" beteiligt. Die 15 Folgen von "Bolek und Loleks große Reise" (1978/79), die auf der Basis des 1977 gedrehten ersten abendfüllenden Films "Die große Reise von Bolek und Lolek" basierten, entstanden wieder ohne ihn, und bei den sieben Episoden von "Lolek und Bolek bei den Bergleuten" (1980) taucht sein Name in den Vorspännen lediglich in einer Liste allgemein an der Entstehung des Projekts Beteiligter auf.
Seit Ende der Haft hatten Ledwig und seine Familie versucht, nach Deutschland zu seinem Vater auszureisen. Das Visum wurde ihm jedoch wiederholt verwehrt, bis ihm die Geheimpolizei einen Deal anbot, der unter rechtsstaatlichem Blickwinkel nichts anderes als eine Erpressung war: Man würde ihm die Ausreise nach Deutschland ermöglichen, wenn er im Gegenzug seine Rechte an den Figuren für die Dauer von weiteren fünf Jahren an das Studio abtrete sowie die polnische Staatsbürgerschaft aufgebe. Ledwig unterschrieb und durfte 1981 endlich mit seiner Familie nach Deutschland ausreisen, wo er sich in Leverkusen niederließ. Das Studio produzierte nach dem Tod Nehrebeckis noch "Lolek und Bolek bei der Olympiade" (1983/84; 13 Episoden) und sehr sporadisch "Lolek und Bolek in Europa" (1983-86; 5 Episoden). Im Jahre 1986 endete wie vereinbart nach 23 Jahren die Trickfilmkarriere der beiden polnischen Stars mit dem deutschstämmigen Vater - der Streit um sie sollte jetzt erst so richtig beginnen.
Gleich nach seiner Übersiedelung hatte Alfred Ledwig mit dem Versuch begonnen, seine Rechte sowie angemessene materielle Kompensation für deren anhaltende und bis heute, vor allem durch die massenhafte Verbreitung auf DVD andauernde Verletzung und daraus erzielte Erlöse auf juristischem Wege zu erstreiten. Vor polnischen Gerichten hatte Ledwig wenig Chancen, denn ehe man Lolek und Bolek einem ausgesiedelten Deutschen überlassen würde, ließe man eher parlamentarisch die gesetzlichen Grundlagen ändern. Es gelang ihm dennoch, 1988 in zwei Instanzen gegen das Studio und Nehrebeckis Erben seine Urheberschaft an den ursprünglichen Entwürfen bestätigt zu bekommen. Ledwigs Position verbesserte sich weiter, nachdem 1994 die Mitglieder der Konfederacja Narodowa rehabilitiert und die Verurteilungen aufgehoben wurden. Im gleichen Jahr wurde die Erpressung Ledwigs richterlich als Verstoß gegen ein Menschenrecht angesehen.
Aber auch das Studio blieb nicht untätig und klagt seit Jahren über die Erben Nehrebeckis und anderer Beteiligter auf Anerkennung von deren teilweisen Urheberrechten - mit zwischenzeitlichem Erfolg, denn das Oberste Gericht Polens revidierte in einem 2004 ergangenen letztinstanzlichen Urteil die sachlich korrekte Entscheidung von 1988 und erkannte den Erben von Nehrebecki und Lorek sowie Alfred Ledwig, der um 95% gekämpft hatte, jeweils 1/3 der Rechte zu, wobei ihm aufgrund der dokumentierten Überschreibung von Loreks Lolek auf Ledwig im Jahre 1962 2/3 zustanden.
Diese höchstrichterliche Rechtsprechung macht erneut die (kultur-)politische Dimension des Streits um Bolek und Lolek deutlich: Die Filme waren und sind weit über die Grenzen Polens hinaus populär, werden im In- und Ausland als "nationales Kulturgut" Polens wahrgenommen, und die Gerichte werden entsprechend nationalistisch voreingenommen sein, wenn ein deutschstämmiger Künstler um Anerkennung seiner Urheberschaft prozessiert.
Um den Klagen der Gegenseite zu begegnen und dabei die politische Dimension des Falles zu nutzen, führte Ledwig den Kampf mit Unterstützung seiner Familie auf europäischer Ebene weiter. Er ließ am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein negatives Feststellungsverfahren einleiten, wodurch eine endgültige Bestätigung seiner Urheberschaft an Lolek und Bolek nach Sachlage aller dem Kläger vorliegenden Originaldokumente erzwungen werden sollte. Zu den beigebrachten Unterlagen gehörte u.a. eine eidesstattliche Erklärung des zwischenzeitlich nach Kanada ausgewanderten Leszek Mech, der am 20. Dezember 1999 der Staatsanwaltschaft in Toronto zu Protokoll gegeben hatte (beglaubigte Übersetzung):
"Hiermit erkläre ich, dass Alfred Ledwig unbestrittener künstlerischer Urheber der Figuren des Bolek und Lolek in der künstlerischen Drehanleitung zu dieser (Fernseh-)Serie ist.
Die Einwendungen und Gerichtsklagen der Erben des Wladyslaw Nehrebecki gegen Alfred Ledwig auf Verletzung der künstlerischen Urheberrechte in Bezug auf Bolek und Lolek erachte ich angesichts der nachfolgenden Fakten als unbegründet:
1. In all diesen Publikationen waren Wladyslaw Nehrebecki und Leszek Mech ausschließlich die literarischen Autoren. Der künstlerische Autor war einzig und allein Alfred Ledwig.
2. Sporadisch kamen Fälle vor, dass Figuren von Bolek und Lolek von anderen Autoren der künstlerischen Bearbeitung (illegal), so auch von Wladyskaw Nehrebecki, genutzt wurden, wenn es aber um meine literarische Zusammenarbeit gegangen ist, habe ich jedes Mal (auch von Wladyslaw Nehrebecki) die Abgabe einer schriftlichen Erklärung verlangt, die rechtliche Verantwortung für die Verletzung der Autorenrechte des Alfred Ledwig auf sich zu nehmen."
Über den noch offenen Ausgang dieses Verfahrens verstarb der inzwischen von Sozialhilfe lebende Ledwig im November 2006 in Leverkusen.
Die Rechtslage um das bisher produzierte Material bleibt weiterhin schwierig, denn einen Teilerfolg zu seinen Gunsten hatte Ledwig bereits im November 2000 vor dem Obersten Gerichts Polens erzielt: Es urteilte, dass das Studio in Bielsko-Biala, obwohl faktischer Besitzer, nicht Eigentümer oder Vertriebsrechteinhaber des bisher produzierten Filmmaterials ist, da es keine gültigen Verträge darüber mit Alfred Ledwig geschlossen hat. Es darf keine Lizenz für eine DVD-Veröffentlichung vergeben und keine Minute neuen Filmmaterials produzieren. Ein wegweisendes Urteil für das Urheberrecht, wie eine Rechtswissenschaftlerin hier auf polnisch beschreibt. Freundlicherweise wurde uns eine Übersetzung der Bolek-und-Lolek-relevanten Passagen zur Verfügung gestellt.
Die derzeit auf dem offiziellen Markt erhältlichen DVD-Editionen dürften daher, wenn überhaupt, nur teilweise legal sein. Die seit wenigen Jahren erhältliche professionell aufgemachte mehrsprachige Edition des polnischen Herstellers Club Eve ist ausdrücklich vom Studio Filmow Rysunkowicz lizensiert - das aber gar keine Lizenzen vergeben darf. Die Editionen von absolutmedien und Icestorm, die bereits vor mehreren Jahren in Berlin erschienen sind, enthalten entweder gar keinen Lizenzvermerk oder wurden vom polnischen Fernsehen lizenziert, dem das vermutlich auch nicht gestattet ist. Auf diesen Ausgaben sind insgesamt 76 von 176 Originalfolgen enthalten, die auf der Webseite des Studios aufgelistet sind, eine Übersicht über die DVD-Inhalte findet sich hier. In Polen gibt es bereits diverse weitere Folgen auf DVD-Editionen, teilweise gemischt mit bereits anderweitig veröffentlichten Episoden, und auf dem internationalen grauen Markt dürften sich aufgrund der nicht vorhandenen Sprachprobleme der meisten Staffeln noch mehr Sachen im Umlauf befinden - vor einem Jahr hatte ich eine kroatische Einzel-DVD in der Hand, mit in Deutschland unveröffentlichten Episoden.
Die Popularität der beiden Jungen gründete sich neben den Kurzfilmen, die in Sammelprogrammen wie Alles Trick oder Tri-TRa-Trick im Vorabendprogramm des DDR-Fernsehens sowie in den sonntäglichen Kindervorstellungen, in denen mehrere Trickfilme zu einem Stundenprogramm gemixt wurden, im Kino liefen, auch auf die eigens für das Kino produzierten Filme, vor allem die schon erwähnte "Große Reise von Bolek und Lolek" (1977), eine Umsetzung von Jules Vernes "Reise um die Erde in 80 Tagen", sowie "Bolek und Lolek im Wilden Westen" (1986). Zwei weitere, "Märchen mit Bolek und Lolek" (1986) und "Bolek und Loleks Ferien" (1987) kamen hierzulande nicht in die Kinos. Bei ihnen handelt es sich um Zusammenstellungen einzelner TV-Episoden.
Ob je zufrieden stellend geklärt wird, wem welcher Anteil an Lolek und Bolek gehört, mag unklar sein - was glücklicherweise bleibt, ist ein riesiger Fundus ansprechender, zeitloser Kinderunterhaltung, und dafür kann man allen Beteiligten dankbar sein.